PRIMA INTER PARES

Der Primus inter Pares genießt innerhalb einer grundsätzlich gleichberechtigten Gruppe eine besondere Wertschätzung. Nun bekommt die Szene der Neuen Musik eine Prima inter Pares: Rebecca Saunders, die schon allein deshalb eine Sonderstellung verdient hat, weil sie die erste Komponistin ist, die mit dem Ernst von Siemens Musikpreis den inoffiziellen Nobelpreis der Musik gewinnt – und das 45 Jahre nach dessen erster Stiftung im Jahr 1974.

Ein audiofeministisches Kommentar – erschienen und nachzulesen in der NMZ (2/2019)!

Foto: Charlotte Oswald

Echoes of `68

›QUERSTAND‹ VON KUNST+POLITIK
Der Schiffbruch von Hans Werner Henzes Floß der Medusa
Deutschlandfunk | 8.12.2018 | Atelier neuer Musik | 22:05-22:50

Durch die 1960er Jahre spukte ein ›querständiger‹ Geist, der die Gesellschaft wie die Künste, Politik und Avantgarde affizierte. Im heißen Winter 1968 entlud sich die Spannung in der Uraufführung von Hans Werner Henzes ›oratorio volgare e militare‹: »Das Floß der Medusa« erlitt spektakulären Schiffbruch und ging als größter politischer Skandal in die Musikgeschichte einging.

Das Feature lässt die eklatante Geschichte anhand einer akustischen Quelle aufleben: Die gesprengte Premiere wurde live gesendet und archiviert – heute vermittelt der Mitschnitt einen sinnlichen Beweis des ›querständigen‹ Geists, der um ›1968‹ durch Politik und Kunstmusik spukte. Dieses bemerkenswerte Tondokument wird in der Sendung mit einer aktuellen Aufnahme und zeitgemäßen Konnotationen des Oratoriums – den aktuellen Schiffbrüchigen auf dem Mittelmeer – in Bezug gesetzt .

FUTURE SOUNDSCAPES

Wie klingt die Zukunft? Das Future Soundscapes Festival widmet sich  Geschichte und Gegenwart des Science Fiction Sounds:

Ob das mechanische Quietschen der Gelenke von 
humanoiden Robotern, der bedrohlich-stampfende 
Rhythmus von Maschinenstädten, das digitale 
Prasseln von Bits und Bytes oder die sphärischen 
Klänge der unendlichen Weiten des Universums – 
all diese Geräuschkulissen verbinden wir mit 
utopischen bis dystopischen Bildwelten. 
Wie aber haben sich die akustischen Stereotype 
ausgebildet, und wieso halten wir sie für 
glaubwürdig? Welche Klänge verbinden wir mit 
totalitären Kontrollgesellschaften, mit Atomkrieg 
und Klimakatastrophen? Und welche mit friedvollen 
Vielvölkerstaaten? Wie klingt das Fremde, Unbekannte 
und Bedrohliche? Während die Narrative und Bilder 
des SciFi-Genres bereits allgegenwärtig und mit 
einer Vielzahl von Stereotypen fest im kollektiven 
Gedächtnis verankert sind, erkundet Future Soundscapes 
den Sound als essenzielles Element in der Gestaltung 
zukünftiger Welten: als Geräusch, Klang oder Musik.

Ich habe die Ehre, als Eröffnungsvortrag zu Future Soundscapes 2018 meine Sound-Lecture RAUSCH(EN): Ohne Noise — keine Zukunftsmusik zu halten. Danach stellt Manfred Miersch mit Subharchord und Theremin  zwei Instrumente vor, die die SciFi-Musik maßgeblich geprägt haben. Danach präsentiert Jan Brauer sein DJ Set zu “Das Himmelsschiff” (1918) — einem der ersten Raumfahrt-Filme…

sound of talking

Die Verbindung von Sprache und Musik ist  grundsätzlich keine ungewöhnliche Kombination – denken wir  banal an Liedkunst oder die Oper. Die Avantgarden haben das auf neue Ebenen gehoben:  Dieter Schnebel etwa setzte mit seinen Maulwerkern die Stimme als perkussives und soziales Instrument in Szene, während Peter Ablinger mit seinem Zyklus Voices and Piano seit 1998  Stimmaufnahmen berühmter Persönlichkeiten in Rhythmus und Klang übersetzt, wobei der Klavierpart als zeitlicher und spektraler Scan der jeweiligen Stimme fungiert. Damit kommen wir dem Thema der Veranstaltung nahe, die ich am 13. Oktober 2018 in der Kunst-Station St. Peter moderier(t)e: den “sounds & structure in language and music II: Prominenz im Klang” – wo die Verbindung von Sprache und Musik auf eine neue, soziolingusitische Ebene gehoben wird.

Auf dem Podium sitzen  abstrakt denkende Menschen, um die Schnittstelle von Sprache und Musik zu erkunden: Die fast schon legendäre Performanz-Theoretikerin und Sprach-Philosophin Prof. Dr. Dr. h.c. Sybille Krämer; Prof. Dr. Aria Adli, der in Köln das erste »Sociolinguistic Lab« gegründet hat und den SFB 1252 zur “Prominenz in Sprache” leitet; und  der Komponist Roman Pfeifer.

Pfeifer widmet sich  mit seiner »Kammerelektronik« u.a.   artikulatorischer Phonetik, der  ›Motortheorie‹ der Sprachesowie mit künstlichen Stimmen und sprechenden Instrumenten beschäftigt. Auf Basis eines linguistischen Korpus, der dem Komponisten von Prof.  Adli zur Verfügung gestellt wurde, entstand A linguistic study of unexplained death für Schlagzeug und Elektronik, das die ungewöhnliche Berührung von Linguistik und Komposition sinnlich erfahrbar macht.

 

 

 

MPHIL125: “Orchestrale Schwarmintelligenz”

125 Jahre zählen die Münchner Philharmoniker: damit ist das Orchester älter und bezugsreicher als ein Menschenleben, über das der vielköpfig modellierte Klagkörper mit seinen zahllosen Einzelbiographien ohnehin weit hinausreicht. Kein eindimensionaler, linear-chronologischer Blick kann die Geschichte dieser hundertfünfundzwanzigjährigen und vielstimmig orchestrierten Schwarmintelligenz fassen, vielmehr ein Kaleidoskop von Assoziationen und Dimensionen wie Bild und Ton, Raum und Zeit, Geschichte und Gesichter: GESPINSTE!


Aus Anlass des 125-jährigen Jubiläums der  Münchner Philharmoniker kuratierte Sandra Dichtl  im Austausch über die Klänge, Bilder und historischen Fakten eine Installation von Allun Turner, die sich der historischen Unfassbarkeit dieser »Orchestralen Schwarmintelligenz« (so der Titel meines Begleittexts) annähern möchte und die am 5. Oktober um 18:30 Uhr im Glashaus des Münchner Gasteigs Vernissage feierte:
 
Bilder von der Veranstaltung sowie mein Text finden sich auf auf der Website der Münchener Philharmoniker. Die Soundcollage von Angelika von Ammon ist hier zu hören:

 

AUDIOVISIONEN: Musik > Film > Theater

Die Künste fließen  ineinander – auch in meiner kritischen Praxis: Filme sind AUDIOvisionen und Musik spielt im Theater eine tragende Rolle, die wiederum viseuell und performativ auf die Klangkunst einwirken. Insofern ist es folgerichtig, dass ich meine interpolatorischen Fühler ausgestreckt habe – in meiner (online-)redaktionellen Arbeit für das Filmfest München und das Residenztheater.

Medientheoreticher ausgedrückt, sind Audiovisionen “Aukustische Räume in Zeiten hybrider Medienkonstellationen”. Und einfacher gesagt: nicht mehr nur Sprache, Schrift und Notation,  auch mehr nun als Funk und TV, sondern eben auch die neuen und sozialen Medien: Kulturjournalismus ist heute immer auch Online-Kommunikation.

 

PASSION FÜR EINEN NICHT-CHRISTEN

Hermann Keller hatte sein Lieblingszitat Arnold Schönberg abgelauscht: „Kunst ist der Notschrei jener, die an sich das Schicksal der Menschheit erleben.“ In den Worten erkannte der Berliner Komponist und Pianist, Improvisator und Avantgardist sich selbst: „Wenn ich mir vornehme, ich will etwas Extremes machen, dann wird das nix. Ich muss das natürlich erfahren haben und zwar freudvoll aber eben auch bitter – das gehört immer beides zusammen.“

Am 26. März 2018 ist der Berliner Komponist, der als Jazzer und Avantgardist die ostdeutsche Musikszene prägte gestorben. Die »Barabbas-Passion« ist sein letztes großes Werk: Eine Passion für Nicht-Christen (NMZ 5/2018) – und der versöhnliche Abschied eines widerständigen Komponisten.

Am 16. Juni 2018 läuft auf Deutschlandfunk mein Feature: »Hermann Kellers “Barabbas-Passion”: Bekenntnis zum Leben«.

 

Öffentlich ist das neue Privat

»Die Grenze von privatem und öffentlichem Leben ist heute durchlässig« betont Manos Tsangaris;  Daniel Ott ergänzt: »Beide Sphären stören sich gegenseitig und eröffnen einen assoziationsreichen Rahmen«.

Die Münchener Biennale widmet sich 2018 der RRIVATSACHE – und damit einem Nervenpunkt unseres gläsernen Zeitalters.

 

Seit zwei Jahren beschäftigen sich ›internationale Plattformen‹ mit dem Thema,  das zwischen dem 2. und 16. Juniin 15 Uraufführungen (von Ondřej Adámek, Saskia Bladt, Franco Bridarolli, Wilmer Chan, Kaj Duncan David, Ruedi Häusermann, Miika Hyytiäinen, Clara Iannotta, Yasutaki Inamori, Nicolas Kuhn, Lam Lai, Frederik Neyrinck, Marek Poliks, Stefan Prins, Trond Reinholdtsen und Lefteris Veniadis) reflektiert wird. Die Ergebnisse sind divers wie das Thema selbst – davon erzählt mein Vorbericht im Münchener Feuilleton (06/2018): »Freie Szene de luxe«.

Ondrej Adámeks Beitrag zur Münchener Biennale 2018 ist höchst persönlich, denn Alles klappt verhandelt seine eigene Familien­geschichte:  »Von einem Propagandakatalog, mit dem mein jüdischer Großvater von 1943-1945 die Umsiedlungen beworben hat, bis zu seinen Postkarten, die er nach seiner Deportation aus Theresienstadt schrieb.« Für die NZfM (2/2018) habe ich ein Gespräch mit Adámek  geführt: Deformation und Euphemismus.

Neue Musikzeitung (nmz)Ob die Münchener Biennale 2018 wieder polarisiert wie ihre Vorgängerausgabe 2016 zum Thema »OmU – Original mit Untertiteln« kann man in meinen Zwischenberichten für die NMZ nachlesen: Das Festivalerlebnis als musiktheatrales Happening (5.6.2017) und Wellness avancierter Art (11.6.2018).

Im Nachgang und als Fazit folgt mein Bericht für Dissonance (7/2018) .