Sprachakrobatin: Anna Korsun

Ich hatte die Ehre, als Vertreterinn der Jury (mit Carola Bauckholt und Helmut Zapf), am 18. März  an der Berliner Akademie der Künste die Laudatio auf Anna Korsun zu halten:

Die ausführliche Jurybegründung findet sich im Katalog des »Kunstpreis Berlin« 2018 – herausgehoben sei hier Anna Korsuns sprachakrobatische Voliebe für die Stimme, die sie nicht nur ihren Interpreten abverlangt, sondern auch selbst auf die Bühne bringt – etwa anstelle trockener Dankesworte bei der Preisverleihung am 18. März:

Für eine/n KomponistIn kann es wohl kein größers Lob geben, als die Erschaffung neuer Klangwelten  – genau das attestierte Moritz Eggert Anna Korsun in einer ›ultimativen Lobudelei‹ via Videobotschaft als virtueller Co-Laudator:

Herzlichen Glückwunsch!

Im Nachgang entstand für Sweet Spot auf BR Klassik ein Portrait über die Stimmakrobatin Anna Korsun, das am 9. April auf Sendung ging. Siehe auch HIER.

 

»Mister Fluxus« und die »Königin der Nackt«

Am 18. März 2018 eröffnet das Museum Giersch der Goethe-Universität in Frankfurt am Main  die Ausstellung »Freiraum der Kunst – Die Studiogalerie der Goethe-Universität Frankfurt 1964-1968«. Die von der Frankfurter AsTA betriebenen Studiogalerie wurde um ›1968‹ zu einem Kristallisationsort, bei dem die Verbindung von Studentenrevolte und Kunstrevolution besonders deutlich zutage trat.

Schützenhilfe leisteten dabei Nam June Paik und Charlotte Moorman. ›Mister Fluxus‹ und die ›Königin der Nackt‹ machten ausgerechnet die studentische Studiogalerie zur Probebühne ihrer aktionistischen Vermischung von Kunst und Leben, die weit über Frankfurt hinausstrahlen sollte: von ›Mainhattan‹ bis Manhattan.

Davon erzählt mein Katalog-Text zur Ausstellung, die noch bis zum 8. Juli 2018 zu sehen ist, findet sich auch mein Text:

›MISTER FLUXUS‹ UND DIE ›KÖNIGIN DER NACKT‹: Charlotte Moorman und Nam June Paik auf der Frankfurter Studiogalerie

Ausgehend von den beiden Auftritten Paiks und Moormans auf der Frankfurter Studiogalerie,  handelt der Essay vom ›Querstand‹ der sozialen und die künstlerischen Avantgarden in den 1960er Jahren. Machten die demonstrierenden Studenten öffentliche Plätze zu theatralen Bühnen, wurden die Aktionismen der Fluxus-Künstler zu politischen Podien, auf denen zeitgenössische Problemlagen – von Kriegseinsätzen, über engagierte Kunst bis zur Emanzipation der Frau – verhandelt wurden. Paiks und Moormans  Auftritte auf der Frankfurter Studiogalerie zeigen, wie nah eine studentische Kunstinitiative den sozio-ästhetischen Strömungen der globalisierten Welt kommen kann. – Ist dergleichen heute noch möglich?

›Querstand‹ von Kunst und Politik (1968/2018)

Im Kontrapunkt zählt der ›Querstand‹ zu den ›verbotenen Fortschreitungen‹; in der Musikgeschichte steht er symbolisch für den ›querständigen‹ Geist von ›68‹: Mein Essay ÄSTHETISCHER AKTIONISMUS (NMZ 2/2018) widmet sich diesem Phantasma:

Neue Musikzeitung (2/2018)

Ausgehend von einem Gespräch mit Dieter Schnebel eröffnet das Dossier ein Panorama auf die vielen querständigen Musikereignisse im Geist von ´68: ›Komponierende Kommunisten‹ wie Luigi Nono und Hans Werner Henze betrieben einen ›Klingenden Klassenkampf‹ und rahmten die Dekade mit den politischen Musikskandalen um Nonos Intolleranza (1961) und Henzes Floß der Medusa (1968). Auch Mauricio Kagel machte das Musiktheater zum Medium und einer Bühne der Politik – indem er mit Staatstheater (1971) zeigte, dass es STAATS-Theater und Staats-THEATER gibt. Noch weiter ging die Fluxus-Bewegung: in Analogie zu den demonstrierenden Studenten auf den Straßen beschworen ästhetische Aktivisten wie Nam June Paik oder Phil Corner die produktive Kraft von Destruktion und machten öffentliche Plätze zu theatralen Bühnen und politischen Podien. Agierten sie als eine Art Außerparlamentarische Opposition der Avantgarde, stand politische engagierte Musik an den Zentren der Neuen Musik für ein ästhetisch retardierendes Moment und unter Generalverdacht – dennoch schlugen sich 1970 auch  auf dem avantgardistischen Elfenbeinturm in Darmstadt  die politistierten Zeichen der Zeit nieder…

Doch was ist historische Exegese ohne Bezug zur Gegenwart?!

Verstanden sich in den 1960er Jahren ›Neue Linke‹ und ›Neue Musik‹ als sozioästhetische Avantgarden und setzten damit enormes künstlerisches Potential frei, hat sich das Bild radikal gewandelt: heute sind es die populistischen Strömungen der ›Neuen Rechten‹, die sich als gesellschaftliche Vorreiter verstehen, während die Neue Musik nur noch wenig zum öffentlichen Diskurs beiträgt und die ›Alte Linke‹ über die Positionen von `68 kaum hinausgekommen ist. Es scheint also an der Zeit, soziale und künstlerische Avantgarde wieder zusammenzudenken und einen ›Querstand‹ von Kunst und Politik zu erzeugen, der die enormen weltpolitischen Transformationsprozesse – von der Flüchtlingskrise bis zu den nationalen und populistischen Strömungen der globalisierten Welt – in kreative und kritische Bahnen zu lenken weiß.

Johannes Kreidler stellt sich QUER

Die aktuelle Ausgabe der Neuen Zeitschrift für Musik (06/2017) beschäftigt sich mit einem  hoch aktuellen Thema:

»Heimat ist ein soziales Gefüge, ein territorialer Raum, ein geistiges Umfeld und eine Utopie. Bedeutsam wird sie da, wo die Sehnsucht zu Hause ist. Fragen der Identität sind heute so zentral wie schon lange nicht mehr, und sie finden auf  ganz unterschiedliche Weise ihren Niederschlag in heutigen Musikwerken.«

In dem Heft findet sich auch mein Interview »Zwangsläufig akrobatische Liebe« mit Johannes Kreidler über seine Oper Mein Staat als Frein und Geliebte, die ab April an der Oper Halle zu erleben ist. Dass er ein Gespür für gärende Themen des 21. Jahrhunderts hat, zeigte er mit Werken wie Charts Music (Massenkultur), Product Placements (Urheberrech), Fremdarbeit (Globalisierung) und Earjobs (Ökonomisierung). – In seiner neuen Oper nun thematisiert er Fragen nach Identität, Heimat und Nationalismus – also dem, was den Staat im Innersten zusammenhält. 

Musik- als Medienwissenschaft

Lange verharrte die Musikwissenschaft in ihrer Konzentration auf Werk und Schöpfer von ›schöner‹ Kunstmusik. Doch zeichnet sich seit einiger Zeit ein Wandel und die Öffnung der Disziplin ab: medienkulturwissenschaftliche Theorien werden zu einer starken Stimme im musikwissenschaftlichen Chor und erweitern die autonomieästhetisch geprägten Standards des traditionellen Kernfaches. – Das zeigt etwa die aktuelle Ringvorlesung ›Aktuelle Perspektiven zur KLANGFORSCHUNG‹ an der TU Dresden, wo ich am 5. Dezember die Ehre habe, eine Sektion zu gestalten.

 

In meiner Vorlesung widme ich mich der »Musikalisierung von Störgeräuschen«, wie: NOISE – INTERFERENZEN – INTERPOLATIONEN , um mich exemplarisch an einem interdisziplinären Gedankenexperiment zu versuchen: einemal die ›Musik- als Medienwissenschaft‹ respektive die ›Medien- als Musikwissenschaft‹ zu betrachten, denn:

Was anderes, als ein Medium, ist die Musik?

Seit einigen Jahren bewegen sich die Sound Studies an den Rändern der Disziplinen formiert, um statt eines engen Musikbegriffs die Erforschung auditiver Kulturen fokussieren. Nach Jahren der mehr oder weniger friedlichen Koexistenz scheint es an der Zeit, kooperative Brücken in der ›Klang(kunst)forschung‹ zu bauen: Die Musikwissenschaften können medientheoretische Expertise gut gebrauchen und auch die Sound Studies nicht ohne die musikalische Expertise auskommen.

 

ZOOMUSIKOLOGIE

»Katzenmusik« – DialogSalon im Deutschen Hygienemuseum (30.11.2017)

»Katzenmusik« klingt wie ein kleinbürgerlicher Vorwurf gegenüber dissonanten Klängen und scheinbar bezugsfreien Geräuschen der Natur – dabei geht es dem gleichnamigen DialogSalon, den das Deutsche Hygiene-Museum in Kooperation mit dem KlangNetz Dresden e.V. veranstaltet, gerade um die musikalische Kommunikation von und mit Tier(kläng)en:

»Kulturwissenschaftliche Studien beschäftigen sich seit Jahrzehnten mit Tierlauten, deren wissenschaftlicher Wahrnehmung, Imitation im künstlerischen Kontext und ihrer Bedeutung für die Beziehung zwischen Mensch und Tier. Komponisten erfinden Musik aus Vogelstimmen oder benutzen in ihren Werken spezielle Frequenzen, die Katzen zufrieden machen. Wale versuchen mit Gesängen zu beeindrucken und verbreiten ›Lieder‹ über den ganzen Ozean, die von anderen Walgruppen nachgesungen werden. Musiker lassen sich auf ihren Instrumenten von Tiergeräuschen inspirieren und spielen gemeinsam mit Möwen oder Nachtigallen. Andere Tiere wiederum kommunizieren über Frequenzen, die für Menschen nicht hörbar sind. Tierische Lautäußerungen, welche mehr als nur kommunikative Funktionen haben, stehen in der erst vor wenigen Jahren etablierten Zoomusikologie im Fokus. Wissenschaftler stellen die Frage, ob Musik ein rein menschliches Phänomen ist. Der Dialog-Salon untersucht Gemeinsamkeiten in der musikalischen Aktivität und Rezeption von Mensch und Tier – eine Gratwanderung zwischen Naturwissenschaft und Musik.«

Ich freue mich auf die Moderation einer anregenden Gesprächsrunde mit: Marek Brandt (Fotograf, Klang- und Medienkünstler, Leipzig), Susanne Heiter (Musikwissenschaftlerin und Biologin, Universität der Künste Berlin), Steffen Krebber (Komponist, Dozent am Institut für Kunst und Kunsttheorie, Universität Köln), Prof. Dr. Martin Ullrich (Musikwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Human-Animal-Studies, Hochschule für Musik Nürnberg).

 

Doktorspiele mit Tönen

Das musikalische Wartezimmer ist eröffnet, der Ton liegt auf dem Seziertisch: Bei ›OperationTon‹ in Hamburg wird Musik auf Herz und Nieren geprüft – und ich freue mich sehr, am 3./4. November als ›Noise-Doktorin‹ dabei zu sein!

http://operationton.de/op/anna-schuermer/

Die Damen von RockCity in Hamburg realisieren eines der irritierensten Festivals zur Musikkultur – 2017 wird unter dem Motto »Killing me softly« der Kreativmarkt auf seine Lebensfunktionen geprüft:

»Das diesjährige Motto kommt soft. Samtweich, obwohl uns draußen der fiese Wind eines selbstbeschworenen Untergangsszenarios ins Gesicht bläst. Wie kann das sein? Wir fragen uns und Euch genau das: Wo sind die smoothen Antworten der Kunst auf den harten Ton der Neuzeit? Wo sind eure Ideen zum get out für alle? Wir sagen: Future heißt NO CREATIVE BORDERS!«

Recht haben Sie!

»Killing me softly« bläst einem seinen post-humanen Atem ins Gesicht: im Rausch(en) manifestiert sich eine digitale Epochenästhetik, die kein ›U‹ und kein ›E‹ mehr kennt: Ü-MUSIK.

 

In dieser Utopie wird es möglich, Edgard Varèse mit Frank Zappa zusammenzudenken, Karlheinz Stockhausen mit Kraftwerk und Peter Ablinger mit Techno.

Die Virus-indizierten Klänge von James Hoff und und das ›Natural Radio‹ dagegen weisen auf  medienökologische Dimensionen des Akustischen…

MAYA – eine »Mixed-Reality-Techno-Oper«

Mathis Nitschke MAYA

München besitzt weder Industrie- noch Subkultur? Falsch!

Im ehemaligen Heizkraftwerk Aubing, der letzten Industrieruine der Stadt, realisiert der  Komponist und Sounddesigner Mathis Nitschke seine ›Mixed-Reality-Techno-Oper‹ MAYA als post-utopische Vision:

»Überreste dreier gigantischer Maschinen weisen auf eine hochentwickelte Zivilisation, die 2050 durch eine globale Katastrophe ausgelöscht wurde. Unsere Vorfahren nutzten sie zum Speichern ihres Bewusstseins, das ihnen nach dem Tod  die Erlösung im digitalen Paradies bescherte: Einem Ort ohne Grenzen, soziale Zwänge oder Krankheiten. Nach der Katastrophe soll eine Auserwählte namens Maya mithilfe ihres rückgeführten Bewusstseins eine neue Menschheit erschaffen.«

In seiner ›Mixed-Reality-Techno-Oper‹ lässt Mathis Nitschke realen und elektronisch erzeugter Klangraum in einen multimedialen Dialog treten: Mittels App können die Zuschauer rätselhafte Spuren einer untergegangenen Zivilisation auf ihren Bildschirmen entdecken, Lichtdesign schafft Skulpturen im Raum, musikalische Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft treffen aufeinander.

Mathis Nitschke mit Anna Schürmer beim Künstlergespräch anlässlich seiner ›mixed reality techno oper‹ MAYA
Mathis Nitschke spricht mit Anna Schürmer über seine ›mixed reality techno oper‹ MAYA

Es war mir eine Ehre, am 19. Oktober das Künstlergespräch mit Mathis Nitschke zu führen. Der Dialog drehte sich um die musiktheatrale Umarmung von Realität und Virtualität,  Utopie und Dystopie, Ü-Musik und Posthumanes sowie die transhistorische Verfasstheit von Ruinen zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Meine Vorberichte zu MAYA finden sich in der NMZ (9/2017): Musikdramatischer Hörspaziergang mit Smartphone sowie dem Münchner Feuilleton (10/2017): MAYA: Musik aus der Zukunft.

Weitere Informationen: https://mayaoper.de und https://mathis-nitschke.com

 

O SUPERGIRLS

1982 sang Laurie Anderson »O Superman«. Bei den Klangspuren Schwaz standen 2017 ›Superfrauen‹ im Zentrum des Geschehens: Von Sofia Gubaidolina als ›Composer in Residence«, über  Komponistinnen wie Jennifer Walsh, Cathy Milliken und Cassandra Miller bis hin zu den Composer-Performerinnen von »Les Femmes Savantes« und zwei Ikonen avancierter Ü-Musik: der großartigen DJane Electric Indigo und nicht zuletzt Laurie Anderson selbst.

Es war mir eine Ehre, intensiv am Progammbuch mitzuarbeiten. Eine große Freude war der Besuch am letzten Festivalwochenende, wo das Tiroler Festival zeigte, was es in Sachen Coolness vielen  arrivierten Veranstaltungen Neuer Musik voraus hat – nämlich den undogmatischen Umgang mit zeitgenössischer Musik in all ihren Facetten:

In der Clubnacht zeigte Electric Indigo aka Susanne Kirchmayr was IDM – »intelligent dance music« – bedeutet und wie nah tanzbarer Techno der experimentierfreudigen Neuen Musik kommen kann: Ü-Musik in Reinkultur.

Zum Abschluss dann die Grande Dame des avancierten Elektropop: Laurie Anderson präsentierte die neueste Version ihrer 1982 – im Rahmen von Nam June Paiks »Good Morning, Mr. Orwell« – gestarteten Reihe »The Language of the Future«: Für die einen Poesie, für andere Performance – und in jedem Fall ein großartiges Beispiel, wie Avantgade und Pop, Kunst und Politik, Medien und Ästhetik eine Symbiose eingehen können.

Mehr zu dieser ›O Superfrau‹ in meinem Programmbuch-Text :

 

»Weltpolitik lässt Werke reagieren«

Neue Zeitschrift für Musik (NZfM)

Beim Fed-Cup der deutschen Tennisdamen auf Hawaii kam es Anfang 2017 zu einem Eklat: Bei der Darbietung der Hymnen vertat sich der amerikanische Sänger – und intonierte statt der dritten Strophe des Deutschlandlieds die erste, jene mit dem bitteren Nachhall: „Deutschland, Deutschland über Alles“. Die Betroffenheit der Anwesenden und die anschließende Aufregung in der Presse und den sozialen Netzwerken hat einmal mehr deutlich gemacht, das Nationalhymnen mehr als eine musikalische Gattung sind: vielmehr symbolische Klang-Zeichen.

Dass Nationalhymnen symbolische Klangzeichen wusste schon Karlheinz Stockhausen und schuf zwischen 1966 und 1969 mit seinen HYMNEN einen globalen Entwurf – der in Hörweite der aktuellen Weltpolitik eine Aktualisierung erfährt. Damit  beschäftigt sich mein neuer Artikel in der Neuen Zeitschrift für Musik (NZfM, 4/2017).