FUTURE SOUNDSCAPES
Wie klingt die Zukunft? Das Future Soundscapes Festival widmet sich Geschichte und Gegenwart des Science Fiction Sounds:
Ob das mechanische Quietschen der Gelenke von humanoiden Robotern, der bedrohlich-stampfende Rhythmus von Maschinenstädten, das digitale Prasseln von Bits und Bytes oder die sphärischen Klänge der unendlichen Weiten des Universums – all diese Geräuschkulissen verbinden wir mit utopischen bis dystopischen Bildwelten. Wie aber haben sich die akustischen Stereotype ausgebildet, und wieso halten wir sie für glaubwürdig? Welche Klänge verbinden wir mit totalitären Kontrollgesellschaften, mit Atomkrieg und Klimakatastrophen? Und welche mit friedvollen Vielvölkerstaaten? Wie klingt das Fremde, Unbekannte und Bedrohliche? Während die Narrative und Bilder des SciFi-Genres bereits allgegenwärtig und mit einer Vielzahl von Stereotypen fest im kollektiven Gedächtnis verankert sind, erkundet Future Soundscapes den Sound als essenzielles Element in der Gestaltung zukünftiger Welten: als Geräusch, Klang oder Musik.
Ich habe die Ehre, als Eröffnungsvortrag zu Future Soundscapes 2018 meine Sound-Lecture RAUSCH(EN): Ohne Noise — keine Zukunftsmusik zu halten. Danach stellt Manfred Miersch mit Subharchord und Theremin zwei Instrumente vor, die die SciFi-Musik maßgeblich geprägt haben. Danach präsentiert Jan Brauer sein DJ Set zu “Das Himmelsschiff” (1918) — einem der ersten Raumfahrt-Filme…
Doktorspiele mit Tönen
Das musikalische Wartezimmer ist eröffnet, der Ton liegt auf dem Seziertisch: Bei ›OperationTon‹ in Hamburg wird Musik auf Herz und Nieren geprüft – und ich freue mich sehr, am 3./4. November als ›Noise-Doktorin‹ dabei zu sein!
http://operationton.de/op/anna-schuermer/
Die Damen von RockCity in Hamburg realisieren eines der irritierensten Festivals zur Musikkultur – 2017 wird unter dem Motto »Killing me softly« der Kreativmarkt auf seine Lebensfunktionen geprüft:
»Das diesjährige Motto kommt soft. Samtweich, obwohl uns draußen der fiese Wind eines selbstbeschworenen Untergangsszenarios ins Gesicht bläst. Wie kann das sein? Wir fragen uns und Euch genau das: Wo sind die smoothen Antworten der Kunst auf den harten Ton der Neuzeit? Wo sind eure Ideen zum get out für alle? Wir sagen: Future heißt NO CREATIVE BORDERS!«
Recht haben Sie!
»Killing me softly« bläst einem seinen post-humanen Atem ins Gesicht: im Rausch(en) manifestiert sich eine digitale Epochenästhetik, die kein ›U‹ und kein ›E‹ mehr kennt: Ü-MUSIK.
In dieser Utopie wird es möglich, Edgard Varèse mit Frank Zappa zusammenzudenken, Karlheinz Stockhausen mit Kraftwerk und Peter Ablinger mit Techno.
Die Virus-indizierten Klänge von James Hoff und und das ›Natural Radio‹ dagegen weisen auf medienökologische Dimensionen des Akustischen…
MAYA – eine »Mixed-Reality-Techno-Oper«
München besitzt weder Industrie- noch Subkultur? Falsch!
Im ehemaligen Heizkraftwerk Aubing, der letzten Industrieruine der Stadt, realisiert der Komponist und Sounddesigner Mathis Nitschke seine ›Mixed-Reality-Techno-Oper‹ MAYA als post-utopische Vision:
»Überreste dreier gigantischer Maschinen weisen auf eine hochentwickelte Zivilisation, die 2050 durch eine globale Katastrophe ausgelöscht wurde. Unsere Vorfahren nutzten sie zum Speichern ihres Bewusstseins, das ihnen nach dem Tod die Erlösung im digitalen Paradies bescherte: Einem Ort ohne Grenzen, soziale Zwänge oder Krankheiten. Nach der Katastrophe soll eine Auserwählte namens Maya mithilfe ihres rückgeführten Bewusstseins eine neue Menschheit erschaffen.«
In seiner ›Mixed-Reality-Techno-Oper‹ lässt Mathis Nitschke realen und elektronisch erzeugter Klangraum in einen multimedialen Dialog treten: Mittels App können die Zuschauer rätselhafte Spuren einer untergegangenen Zivilisation auf ihren Bildschirmen entdecken, Lichtdesign schafft Skulpturen im Raum, musikalische Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft treffen aufeinander.
Es war mir eine Ehre, am 19. Oktober das Künstlergespräch mit Mathis Nitschke zu führen. Der Dialog drehte sich um die musiktheatrale Umarmung von Realität und Virtualität, Utopie und Dystopie, Ü-Musik und Posthumanes sowie die transhistorische Verfasstheit von Ruinen zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Meine Vorberichte zu MAYA finden sich in der NMZ (9/2017): Musikdramatischer Hörspaziergang mit Smartphone sowie dem Münchner Feuilleton (10/2017): MAYA: Musik aus der Zukunft.
Weitere Informationen: https://mayaoper.de und https://mathis-nitschke.com
O SUPERGIRLS
1982 sang Laurie Anderson »O Superman«. Bei den Klangspuren Schwaz standen 2017 ›Superfrauen‹ im Zentrum des Geschehens: Von Sofia Gubaidolina als ›Composer in Residence«, über Komponistinnen wie Jennifer Walsh, Cathy Milliken und Cassandra Miller bis hin zu den Composer-Performerinnen von »Les Femmes Savantes« und zwei Ikonen avancierter Ü-Musik: der großartigen DJane Electric Indigo und nicht zuletzt Laurie Anderson selbst.
Es war mir eine Ehre, intensiv am Progammbuch mitzuarbeiten. Eine große Freude war der Besuch am letzten Festivalwochenende, wo das Tiroler Festival zeigte, was es in Sachen Coolness vielen arrivierten Veranstaltungen Neuer Musik voraus hat – nämlich den undogmatischen Umgang mit zeitgenössischer Musik in all ihren Facetten:
In der Clubnacht zeigte Electric Indigo aka Susanne Kirchmayr was IDM – »intelligent dance music« – bedeutet und wie nah tanzbarer Techno der experimentierfreudigen Neuen Musik kommen kann: Ü-Musik in Reinkultur.
Zum Abschluss dann die Grande Dame des avancierten Elektropop: Laurie Anderson präsentierte die neueste Version ihrer 1982 – im Rahmen von Nam June Paiks »Good Morning, Mr. Orwell« – gestarteten Reihe »The Language of the Future«: Für die einen Poesie, für andere Performance – und in jedem Fall ein großartiges Beispiel, wie Avantgade und Pop, Kunst und Politik, Medien und Ästhetik eine Symbiose eingehen können.
Mehr zu dieser ›O Superfrau‹ in meinem Programmbuch-Text :
U + E = Ü-Musik
Ein Gedankenmodell zur Überwindung einer belastenden Sezession
Viele wollen es nicht wahrhaben – und doch hat die dialektische Spaltung der Musik in eine U(nterhaltungs)- und eine E(rnste) Sparte in der breiten Öffentlichkeit Bestand. Überholt ist diese Trennung dennoch. Der in der NMZ (12/2016) erschienene Essay Ü-Musik entsteht in den Grenzbereichen ist ein nicht ganz ironiefreies “Gedankenmodell zur Überwindung einer belastenden Sezession”.
U + E = Ü: Aus der linguistischen Formel lässt sich leicht eine klingende Hypothese bilden: Aus U- und E- wird Ü-Musik. Mehr als nur ein Sprachspiel, kann die Verschiebung der kategorischen Umlaute als Gedankenmodell dienen, um aus der belastenden Sezession der analogen Musikkultur auszubrechen und diese in Richtung der hybriden Klangformen der digitalen Klangzeit zu aktualisieren. Damit wird der Zukunftsmusik ihre vielleicht wichtigste Komponente zurückzugeben: Ü-berraschung .